guss der figura magica und ihre reise um die welt
figura magica und der erweiterte kunstbegriff von joseph beuys
von 1972 bis 1977 studierte ich bildhauerei an der kunstkademie in düsseldorf bei joseph beuys in der sogenannten beuysklasse.
während dieser zeit wurde ich mit der sozialen skulptur und dem sozialen organismus von joseph beuys konfrontiert. so habe ich gelernt, die menschliche gesellschaft, sowie auch unsere welt als einen lebendigen organismus zu sehen. das heisst, daß das zusammenspiel von naturstoffen und naturkräften unserer welt ähnlich funktioniert, wie der menschliche organismus mit seinem wärme- und kälteprinzip, seinen kreisläufen und rhythmen, seiner intelligenz. (körper/wille, seele/empfindung, geist/vernunft/ intuition)
seit 1977 entstehen arbeiten mit zeichnungen, skulpturen, objekten und performances. thematisiert werden schwerpunktmäßig natur und umwelt, wirtschaftlichkeit und solidarität. im selben jahr 1977 bin ich mitbegründer des atelier- und galerie kollektivs (eine galerie für intermediale zusammenarbeit) von dieser zeit an beginne ich mit ausstellungen im in- und ausland
seit 1992 sind es überwiegend objektähnliche arbeiten aus holz und metall, sowie stempel mit figurationen und texten, die ich herstelle. häufig sind es geprägte objekte aus wiederverarbeitetem zeitungspapier. das fertige kunstwerk hat bei mir einen untergeordneten stellenwert, es hat lediglich tagebuchcharakter und stellt eine etappe zum nächsten, weiteren dar. für mich bedeutet meine künstlerische arbeit selbsterkenntnis, im zusammenhang mit dem erkennen unserer welt .
genau so wichtig sind mir aber die arbeitsvorgänge zwischen dem entstandenen kunstwerk, dort wo die künstlerische interaktion mit kollegen und anderen menschen stattfindet.
in diesen zwischenräumen findet die kollektive kreative transformation statt. künstlerische ereignisse geschehen weniger in galerien, museen oder anderen kunsträumen, sondern sind an jedem ort möglich. deshalb beschreibe ich das einrichten einer druckereiwerkstatt in matagalpa als performance.
„für die maßgebenden künstler war kunst immer mehr als nur kunst. das bild, die komposition, die schrift, sie sind werkzeuge, mittel zu einem zweck, der sich zwar in der kunst realisiert, seinen sinn aber ausserhalb hat. nicht jeder mensch ist ein künstler; aber jedem der lebt, ist aufgegeben, dessen leistung die künste in reinform praktizieren: ein leben gegen die ansprüche und beschränkungen des lebens zu führen, indem er sich eine in der welt schafft“ (andreas steffens, selbst-bildung. die perspektive der anthropoästhetik, oberhausen 2011, s. 20).
1988 entsteht die skulptur figura magica
ihre form entspricht einem überdimensionalen hufeisenmagneten und sie verweist direkt auf das magnetische feld, das durch die drehung der erde und den dynamoeffekt des schweren, glühenden, metallenen, sich schneller mitdrehenden erdkerns entsteht. dieses magnetische feld liegt wie ein schutzschild um unseren globus. die fünf meter lange und sechs tonnen schwere gusseisenskulptur zeigt auf etwas hin, das uns alle betrifft: die erde.
aber nicht nur durch ihre form deutet sie auf die mitte unseres planeten – auch durch ihr material (gusseisen) bezieht sie sich auf den ort, an dem die seele der erde zu finden ist.
dort, wo sich der glühendheisse, flüssige, eiserne erdkern befindet.
ich möchte mit meiner figura magica das tiefe verhältnis aufzeigen, das zwischen den menschen, den naturkräften und unserer erde besteht, und welches im begriff ist, zu verkümmern. wir menschen sind die wesen mit dem ausgeprägtesten willen und bewusstsein auf der erde. wir haben in den letzten jahrtausenden die erde am stärksten verändert und müssen lernen, schützend und kreativ die welt zu gestalten, mit vernunft und wirtschaftlich für den erhalt der artenvielfalt und der ökologischen verhältnisse sorgen. wir müssen das gestalten unserer umwelt als ein ästhetisches prinzip verstehen – mit verantwortung, nachhaltigkeit und ausdauer. wir sollten lernen unsere welt zu handhaben wie eine skulptur, unsere herangehensweise muss eine künstlerische sein. bei diesem gestaltungsprozess ist ua. die proportionierung, das heisst das ausgewogensein zwischen abnehmen und hinzufügen, wie es beim herstellen einer skuptur geschieht, als einen ästhetischen aspekt zusehen (rhythmus, kreisläufe).
die reise
nach der fertigstellung der figura magica im jahr 1988 gab das goethe-institut in dublin – anlässlich der ernennung dublins zur kulturhauptstadt europas 1991 – grünes licht für die erste reiseetappe. darauf folgten, jeweils im zweijahresrhythmus, die stationen montreal/kanada, bethany/usa, matagalpa/nicaragua, santiago de chile/chile, sydney,australien ohmishima/japan, negombo/sri lanka und lomé/togo, von wo aus die figura im herbst 2009 zurück nach wuppertal gereist ist.
auf ihrer langen reise ist die figura magica mit vielen unterschiedlichen landschaften, klimatischen bedingungen und kulturkreisen in berührung gekommen. die menschen haben unterschiedliche schwerpunkte und bedeutungen in dieses kunstwerk interpretiert, haben ihr fähigkeiten zugesprochen, viele fragen gestellt. stets hat die skulptur die menschen angezogen und sie in einen dialog gebracht.
die skulptur ist nun ein imaginationsträger geworden und löst durch die phantasie (vorstellungskraft) jedes einzelnen auf sie treffenden menschen, die gesammelten eindrücke ihrer langen reise nachvollziehbar aus. subjekt und objekt wechseln ihre positionen und es ergibt sich austausch und auseinandersetzung. bewusstes bildhaftes und plastisches denken wird notwendig sein (parallelprozess 1), um die vorstellungskraft zu erweitern und damit die begriffe (parallelprozess 2), die notwendig sind, in der absprache für die gestaltung einer positiven wirklichkeit.
sie wurde sehr oft fälschlicherweise als eine „soziale skulptur“ bezeichnet, was natürlich im sinne von joseph beuys nicht stimmt. was ich aber hoffe ist, daß sie ein kleiner beitrag sein kann, beuys entsprechend, in unsere gesellschaft, die ja als die „soziale skulptur“ gemeint ist, hineinzuwirken,
die skulptur ist ein geschenk an die bürger der stadt wuppertal. ihren endgültigen platz hat sie vor dem pina-bausch-zentrum in wuppertal elberfeld gefunden. an den verschiedenen orten ihrer reise wurde die figura-skulptur häufig als sitzplatz genutzt und so hoffe ich, dass auch die wuppertaler sie gern in “besitz” nehmen werden.
„wer vor der wirklichkeit zurückschreckt, der wird sich zuletzt auch in seiner phantasiebetätigung einschränken. hält diese beschränkung nur lange genug an, führt sie zu einer entwöhnung von aller möglichkeitszuversicht, die doch jede aktivität tragen muss, am bestimmtesten diejenige, die zu veränderungen fähig sein will, deren erwartung zu den großen hoffnungen und beunruhigungen des menschseins zugleich gehört“ (andreas steffens, selbst-bildung, a.a.O., s. 82).
vorläufig letzter höhepunkt des projektes war die große kunstausstellung in der hauptgeschäfts-stelle der stadtsparkasse in wuppertal, die am 15. september 2010 eröffnet wurde. ich hatte das glück neun künstlerinnen und künstler aus den figura-reiseländer für ca. eine woche nach wuppertal einladen zu können, sie zeigten dort ihre arbeiten. parallel dazu erschien das buch "figura magica: den kreis geschlossen" über das gesamtprojekt. der film "die reise der figura magica" von volker hoffmann hatte dort premiere.
das war ein tolles erlebnis, sowohl für uns wuppertaler, aber auch für unsere gäste, die sich hier sehr wohl gefühlt haben und alle wieder kommen wollen.
unterstützt wurde dieses projekt von der stadtsparkasse wuppertal, von der sparkassen-kulturstiftung rheinland und vom dezernat und kulturbüro der stadt wuppertal. zu sehen war die ausstellung bis zum 12. november 2010.